
Mein Einzug in Weimar
Es ist der 3. November 1804 und ich bin auf den Tag genau seit drei Monaten verheiratet. Ein Drittel meines verheirateten Lebens habe ich in einer fahrenden Kutsche verbracht, zusammen mit meinem Ehemann Carl Friedrich, dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar-Eisenach.
Er brennt darauf, mir die Welt seiner Kindheit und Jugend zu zeigen, meine neue Heimat: Weimar.
Als wir vor fünf Wochen in Sankt Petersburg aufgebrochen sind, lebte Carl Friedrich schon seit rund einem Jahr in meiner Nähe und wir haben uns oft gesehen. Doch wirklich kennen gelernt haben wir uns erst unterwegs, in endlosen Stunden des Gesprächs über Gott und die Welt.
Dass ich ein wenig aufgeregt bin, will ich gar nicht leugnen, denn bald lerne ich meine Schwiegereltern kennen, Herzog Carl August und Herzogin Louise.
Wundert euch nicht, dass sie nicht auf unserer Hochzeit in Russland waren. Das kommt in den besten Familien vor.
Nach der polnischen Grenze wartet eine kleine, aber sehr feine Gruppe auf uns. Carl August höchstselbst kommt uns entgegen geritten und begrüßt uns herzlich! Seine Worte sind von ausgesuchter Höflichkeit, einem Großherzog würdig. Doch ich habe das Gefühl, er würde mich als Schwiegervater am liebsten an sein Herz drücken.
In Naumburg wartet dann die Großherzogin Louise, meine Schwiegermutter. Ich mag sie auf Anhieb, denn Carl Friedrich ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.
Von nun an wächst der Ehrenzug bald an jedem Ort.
Junge Männer in Paradeuniform begleiten uns auf Pferderücken auf unseren Weg nach Weimar. Kolonnen von Husaren, Schützenvereine, Kaufleute und Bauernburschen kommen mit feierlichen Gesichtern hinzu.
An jedem Ort sind Ehrenbögen angebracht, geschmückt mit allem, worauf die Bewohner stolz sind. Strahlende Kinder überreichen uns Blumen, kleine Geschenke, Gedichte und Erfrischungsgetränke. Mit Musik geht es dann weiter, bis wir in Weimar ankommen. Carl Friedrich hält meine Hand und lächelt mir ermunternd zu.
Und dann sehe ich die Weimarer, eine jubelnde, winkende Menschenmenge um den kunstvollsten, gigantischsten Triumphbogen geschart, den ich je gesehen habe!
Der Bogen ist wie eine festliche Pforte gestaltet und steht auf acht Korinthischen Säulen. Große Bilder und Figuren zeigen das russische und das weimarische Volk, nun vereinigt durch den Bund unserer Ehe.
?úber dem Eingang steht: ‚ÄûCARL FRIEDRICH UND MARIEN PAULOWNEN.‚Äú
Und an der Seite: „DEN SEHNLICH ERWARTETEN.“
Das Weimarische Wappen ist ein Löwe inmitten roter Herzen. Mir strahlt so viel Freude und Herzlichkeit entgegen, dass ich den Tränen nahe bin.
Nach einer kleinen Rede des Bürgermeisters und einigen Musikstücken des Chors und der Musikkapelle kommen wir nun auf dem Schlosshof an.
Herzogin Louise und Herzoginmutter Anna Amalia empfangen uns feierlich.
Und da treffe ich zum ersten Mal eines der Weimarer Geistesgrößen, von denen ich in Russland schon so viel gehört hatte: Christoph Martin Wieland. Er begrüßt mich mit einem Gedicht.
Weimar, ich bin da!