Wie Goethe den Weimarer Kindern half

Spielplätze und Grünanlagen, in denen sich Kinder austoben können, gehören heute wie selbstverständlich zum Stadtbild.

Vor mehr als zweihundert Jahren war die Kinderschar in Weimar viel größer, als heute ‚Äì ihr Spielplatz waren die engen, winkligen Gassen und die öffentlichen Plätze.

Sehr zum Ärger vieler Bürger und der Polizei.

Das bezeugt eine ‚ÄûBekanntmachung‚Äú der Ordnungshüter im Wochenblatt vom Jahre 1805:

‚ÄûDas ungezogene und ausgelassene Betragen der hiesigen Jugend auf den Straßen und öffentlichen Plätzen wird alle Tage ärger, ohnerachtet schon die ernstlichsten Verordnungen, vorzüglich im Jahr 1799 deshalb erlassen sind.

Es gehört dahin, dass

  1. wenn in dem Gymnasio und andern Schulen die Stunden geschlossen werden, die Jugend auf das unanständigste sich beträgt
  2. dass auf öffentlichen Plätzen überhaupt besonders aber auf dem Töpfermarkt, vor dem Zeughaus, und in der Gegend beym Bornberg, von Knaben und Mädchen,

wo auch Kinder solcher Eltern sich mit einfinden, denen man eine bessere Aufsicht und Erziehung derselben zutrauen sollte, ein solcher Unfug mit Ballspielen, Anschlagen, Werfen und Schreien, getrieben wird, dass jeder gesittete Mensch ein Aergerniß daran nehmen muss, und dass wenn Wagen vorbeifahren oder Pferde über die Straßen geführt oder geritten werden, die Kinder auf eine tollkühne Weise querüber laufen, sich anhängen, nachschreiben, und so, theils sich selbst, theils die Fahrenden und Reitenden der größten Gefahr aussetzen.

Da man nun dergleichen Ungebührnissen fernerhin nicht mehr nachsehen kann, vielmehr die Verfügung getroffen hat, dass die in dergleichen Unfug begriffen werdende Jugend, welche ihre Spiele außerhalb der Stadt vorzunehmen Raum und Gelegenheit hat, von den Fürstl. Polizey- und hiesigen Gerichtsdienern eingefangen und in das hiesige Stadtgefängnis abgeliefert; die Eltern aber in solchen Fällen noch besonders zur Verantwortung und Strafe gezogen werden sollen.

So wird dieses andurch zur Warnung und Nachachtung öffentlich bekannt gemacht.‚Äú

Goethe gefiel dieser Umgang mit den Kindern nicht.Nicht nur, weil er kinderlieb war, sondern weil er es nicht richtig fand, Kinder in ihrer Entfaltung so sehr einzuschränken. So sagte er im März 1828 zu Eckermann: ‚ÄûIch brauche nur in unserm lieben Weimar zum Fenster hinauszusehen, um gewahr zu werden, wie es bei uns steht.

‚Äì Als neulich der Schnee lag und meine Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße probieren wollten, sogleich war ein Polizeidiener nahe, und ich sah die armen Dingerchen fliehen so schnell sie konnten.

Jetzt, wo die Frühlingssonne sie aus den Häusern lockt und sie mit ihresgleichen vor ihren Türen gerne ein Spielchen machten, sehe ich sie immer geniert, als wären sie nicht sicher und als fürchteten sie das Herannahen irgendeines polizeilichen Machthabers.

– Es darf kein Bube mit der Peitsche knallen oder singen oder rufen, sogleich ist die Polizei da, es ihm zu verbieten.

Es geht bei uns alles dahin, die liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Natur, alle Originalität und alle Wildheit auszutreiben, so dass am Ende nichts übrig bleibt als der Philister.‚Äú

Wie ernst Goethe diese Ansichten vertrat, beweist der folgende Bericht von Julius Schwabe: „An einem Winternachmittag stand Goethe am Fenster und schaute zu, wie mehrere Knaben sich auf dem vor seinem Hause befindlichen freien Platze mit ihren Handschlitten herumtummelten.

Da stand plötzlich der von der weimarischen Jugend gefürchtete Gensdarm Sprung mitten unter ihnen, gebot ein donnerndes Halt, nahm den Knaben ihre vier Schlitten ab und transportierte dieselben nach der Polizei.

In der nächsten Viertelstunde erschien Goethes Diener daselbst mit einem Billett, welches die Bitte enthielt, die konfiszierten Schlitten wieder frei zu geben. Natürlich wurde diesem Wunsche des Herrn Ministers sofort Folge geleistet.‚Äú

Sind diese Texte für dich zu schwer zu verstehen? Das ist möglich, denn diese Sprache ist über 200 Jahre alt.

Wie würden die polizeiliche Bekanntmachung oder Goethes Worte klingen, wenn du sie heute formulieren würdest?