Goethes Tag

Ich kann euch erzählen, wie ein typischer Tag bei Goethe ablief, denn ich habe drei Jahre bei ihm gelebt. Zuerst einmal müsst ihr wissen, dass sein Arbeitszimmer viel bescheidener war, als die reich geschmückten Wohnräume.

Mit einem leichten Frühstück im Bauch und oft noch im Bett, begann er gleich früh um halb sieben zu arbeiten.

Wer glaubt, dass ein Staatsminister im Schlafrock von der Dienerschaft nicht ernst genommen wurde, der irrt sich. Je nachdem, ob er dichtete, einen Roman diktierte oder etwa Briefe, befehligte er seine Diener, Schreiber und Sekretäre auch vom Bett aus. Bis die Zeit kam für ein zweites, kräftigendes Frühstück.

Gestärkt mit Fleisch und Wein wurden nach zehn Uhr weiterhin Briefe und schriftliche Arbeiten erledigt, und frühe Besucher empfangen.

Natürlich nicht mehr im Bett, aber manche Freunde bekamen Goethe im leichten Hausrock oder in seinem langen weißen Flanell-Schlafrock zu Angesicht.

Warum arbeitete er nicht im Büro? Ganz einfach: Er hatte keines. Wie ihr wisst, war er nicht nur Dichter, sondern ein wichtiger Staatsbeamter im Herzogtum. Er kümmerte sich um die Soldaten des Herzogs, den Straßenbau, um die Reichtümer des Ländchens, um die Bergwerke in Ilmenau, das Theater und die Bibliothek.

Darüber hinaus war er der wichtigste Berater und Vertraute des Herzogs Carl August. All diese Aufgaben erledigte er im Haus am Frauenplan, die Schreibtischarbeit wie die Empfänge.

Von zwei bis drei Uhr nachmittags genoss Goethe ein üppiges Essen im kleinen Kreis oder mit Gästen. Nach kurzer Mittagsruhe kümmerte er sich um die laufenden Geschäfte, machte Besuche oder empfing Besucher.

Vor Einbruch der Dunkelheit fuhr er mit der Kutsche aus, ging spazieren oder ins Theater.

Zu Abend speiste Goethe bescheiden, meistens Suppe oder etwas Obst.

Zwischen 21 und 22 Uhr wurde es still im Haus am Frauenplan. Der Hausherr, die Sekretäre und die Dienerschaft löschten die Lichter und kehrten zur Ruhe.