



Die Räuber und ich
Caroline setzte sich auf und horchte angestrengt auf die Geräusche der Nacht. Feuer?! Hat jemand Feuer gerufen? Oder war es nur ein böser Traum? Sie blickte in Richtung des Schlafzimmers der Brüder und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Doch Karl und Ernst schliefen.
Da! Da war es wieder! erschrak sie, um im nächsten Augenblick gleich in Lachen auszubrechen.
NACHTWÄCHTER:
‚ÄûLöscht das Feuer und das Licht, Damit bei uns kein Brand ausbricht!‚Äú
Ja, natürlich! Der Nachtwächter Werle, das alte Humpelbein! Seine Stimme war tief wie der Klang alter Weinfässer, wie böse Zungen sagten. Diese Stimme, die beim sonntäglichen Kirchgesang immer herausstach, ertönte noch ein letztes Mal und verschwand dann in den dunklen Gassen.
Das schwache Licht der ?ñllampe baumelte in seiner Hand, nach vorn und hinten weit ausholend, verlor sich aber alsbald zwischen den Häusern.
Caroline wusste jetzt, was zu tun war. Sie tastete nach den Hausschuhen unterm Bett, nahm den Morgenmantel von der Stuhllehne und schlang ihn eng um sich. Sie fröstelte. Auf dem Fenstersims erfühlte sie die Kerze und machte Licht. Der warme Duft von Bienenwachs stieg ihr in die Nase und sie hielt einen Augenblick inne.
Die Uhr hatte gerade zwei geschlagen. Zeit für Papa, ins Bett zu gehen.
Leise, aber entschlossen ging sie dann die Treppen hinauf, zwölf Stufen, dann links rum, sechs Stufen. Der wacklige Kerzenschein wurde vom dunklen Holz der Treppe beinahe verschluckt und Carolines Mut sank.
Die Tür zum Arbeitszimmer stand offen.
?úbers Papier gebeugt, erblickte Caroline ihren Vater, vollständig bekleidet mit Weste und Gamaschen, die Ellenbogen auf dem Tisch und in den Händen verbarg er sein Gesicht. Das Gänsekiel ruhte auf dem Papier.
Als Caroline näher trat, vernahm sie den für dieses Zimmer so typischen Geruch faulender Äpfel, die ihr Vater in der Schreibtischschublade aufbewahrte. Typisch.
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûDu, Caroline!‚Äú drehte er sich überrascht um und winkte das Kind zu sich: ‚ÄûDie Uhr hat gerade Drei geschlagen, was trieb dich unter die Daunen hervor?‚Äú
CAROLINE:
‚ÄûMich hat der Nachtwächter wachgemacht, denn er rief zweimal vor unserem Haus! Bei dir brannte noch Licht, stimmt‚Äòs, Papa?‚Äú Sie machte es sich auf seinem Schoß gemütlich.
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûJa‚Äú, lachte er, ‚Äûund in der Eile, die Kerze zu löschen, habe ich sie gleich umgeworfen. Sieh dir doch diesen Wachsfleck auf dem Manuskript an! Caroline drückte ihren Daumen darauf. Das Wachs war noch warm.
CAROLINE:
‚ÄûEin Siegel! Ich habe einen Siegel gemacht!‚Äú rief sie freudig und begann sogleich, das Gänsekiel ergreifend, feine Muster darin zu ziehen.
‚ÄûAuch du hattest dich erschrocken beim Ruf des alten Werle?‚Äú hielt sie plötzlich inne. ‚ÄûDachtest du etwa, es wären Räuber?‚Äú Sie schaute ihn jetzt mit großen Augen an.
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûNein, gewiss nicht, in Weimar gibt es ja keine Räuber.‚Äú
CAROLINE:
„In Weimar nicht?“
FRIEDRICH SCHILLER:
„Nein.“
CAROLINE:
„Wo gibt es dann welche?“
FRIEDRICH SCHILLER:
„Nun ja...“
CAROLINE:
‚ÄûIn deinem Buch, stimmt‚Äòs? Du hast ein Räuberbuch geschrieben, Karl hat es mir erzählt. ?úber echte Räuber. Es ist doch wahr, Papa?‚Äú
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûHahaha! Nun ja: es ist wahr. ?úber echte Räuber. Sie haben reiche Menschen ausgeraubt, aber auch Klöster geplündert. Manche von ihnen wollten die Beute unter den Armen verteilen, andere wollten sie für sich selbst behalten. Und darüber sind sie sich in die Haare geraten!‚Äú
CAROLINE:
‚ÄûKarl sagt, echte Räuber rauben Schmuck und das ganze Geld und behalten alles immer für sich!‚Äú
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûIn meinem Theaterstück wollten einige Räuber Geld und Reichtum gerecht verteilen. Sie wollten, dass Arme nicht so arm sind und Reiche nicht mehr so reich.‚Äú
CAROLINE:
‚ÄûWaren das dann gute Räuber?‚Äú
FRIEDRICH SCHILLER:
‚ÄûManchmal ist es sehr schwer zu entscheiden, ob jemand gutes Tut, wenn er anderen gleichzeitig wehtut. Doch wir sollten jetzt besser beide in unsere Betten und die Räuber für heute Nacht ruhen lassen.‚Äú
CAROLINE:
‚ÄûAber...‚Äú wollte Caroline noch sagen, doch ihr Vater stand schon auf, strich die voll beschriebenen Papierbögen glatt und legte sie in seine Schublade, mitten in den süßlichen Duft der welken Äpfel hinein.
Von der Treppenwende blickte Caroline noch einmal zu ihm hinauf und sah ihn, wieder ganz in seinen Gedanken verloren, noch aber die Spur eines Lächelns auf seinem hageren Gesicht. Und sie pustete die Kerze aus, legte den Morgenmantel über die Stuhllehne und ging schlafen.
Bald träumte sie von einem Berg von Edelsteinen und goldglänzenden Louisdors, umgeben von einem Meer von warmem, duftendem Bienenwachs.